Fachartikel von Oliver Graf: SECURITY INSIGHT SicherheitsPraxis 4/23

Film und Fernsehen haben ein sehr eindimensionales Verständnis von Personenschutz vermittelt. Erschwerend kommt hinzu, dass es Wirtschaftsverbände, Politik und zuständige Behörden immer noch nicht geschafft haben, ein anerkanntes Berufsbild durchzusetzen. Beides hat der Branche nicht gut getan. Fehlende nationale Ausbildungs- und Prüfungsstandards ermöglichen Dilettanten den Zugang zu einem Markt, der von maximaler Verunsicherung und Informationsasymmetrien geprägt ist. Eine „Adverse Selection“ ist vorprogrammiert: Der Kunde weiß schlicht nicht, welche Dienstleistung er erwarten und wie er die Qualität des Anbieters profund einschätzen kann. Am Ende entscheidet er sich für den billigen Personal Security Provider. Ein unhaltbarer Zustand in einem Segment, in dem es um den Schutz von Leib, Leben und Gesundheit geht.

Wie sollte moderner Personenschutz also verstanden und de lege artis konzipiert und durchgeführt werden?

Lesen Sie hier einen Beitrag von Proteus.one-Geschäftsführer Oliver Graf in SECURITY INSIGHT SicherheitsPraxis 4/23

 

 

Schutzmaßnahmen für Spieler, Mannschaften, Trainer und Funktionäre einer international agierenden Sportliga

Ausgangslage:

Eine amerikanische Sportliga plant für 2022 erstmals ein sportliches Großereignis in Deutschland.

Bewachungsdienstleistungen für die Absicherung von Spielern, Trainern, Mannschaften, Schiedsrichtern, Funktionären, Medienvertretern und Events werden beschränkt mit Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Proteus.one war bereits empfohlen und in Bezug auf alle Vergabeanforderungen präqualifiziert. Nach Abgabe und Prüfung der Offerte erfolgte der Zuschlag und die Mandatierung als General Security Service Provider.

Nach dem Kartenvorverkauf war von einem immensen öffentlichen Interesse und hohen Besucherzahlen auszugehen.

Herausforderungen:

Zwischen Vergabeentscheidung und Spieltag verbleiben nur 14 Wochen für die komplexe Planung und Projektierung. Der fachliche Austausch zwischen allen relevanten Sicheheitsakteuren musste teilweise über zwei Zeitzonen hinweg erfolgen. Persönliche Treffen waren im Abstand von vier Wochen vorgesehen. Nachdem zahlreiche Polizei- und Ordnungsbehörden, die Feuerwehr sowie Flughafenbetreiber und Verkehrsbetriebe von Anfang an stark in die Sicherheitsplanung involviert waren, bestanden hohe Abstimmungserfordernisse.

Der enorme Bedarf an speziell qualifizierten Sicherheitsmitarbeitern stellte besondere Anforderungen die Personal-, Ausfall- und Unterbringungsplanung.

Umsetzung:

Proteus-intern wurde eine Matrix-Projektorganisation aufgesetzt. Das Rollenkonzept sah übergeordnete Verantwortlichkeiten für die Abschnitte Projektleitung, Mannschaftssicherheit, Sicherheit für andere Akteure, Veranstaltungssicherheit, Schnittstellenorganisation sowie Administration & Organisation vor.

Das Recruiting der Sicherheitsmitarbeiter musste überregional erfolgen. Auf der Grundlage spezifischer Anforderungen des Auftraggebers wurden Due-Diligence-Überprüfungen aller Vendoren durchgeführt.

Besonderes Augenmerk lag auf der Sicherheitsplanung von Bewegungen der Mannschaften am Flughafen, ihrer Unterbringung in den Hotels sowie der Trainingsaktivitäten und Bustransfers durch das Münchner Stadtgebiet. Für einen regelmäßigen Austausch mit Sicherheitsrepräsentanten des Auftraggebers und der teilnehmenden Teams waren virtuelle Jour Fixes vorgesehen.

Die vielschichtige Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden war in allen relevanten Projektphasen ein Musterbeispiel für ein sehr gelungenes, informelles „Public-Private-Security-Partnership“.

Entwicklung und Implementierung einer Family-Security-Konzeption

Ausgangslage:

Ein tradiertes Zulieferunternehmen wird an einen internationalen Konzern verkauft. Der vorausgehende M&A-Prozess war Gegenstand journalistischer Berichterstattung. Aus der Post-Merger-Integration sind keine nennenswerten Bedrohungsrisiken für Führungskräfte oder Inhaber der Gesellschaft erwachsen. Das neue Domizil der Eigentümerfamilie liegt in einer ausländischen Hauptstadt. Es bestehen ausgeprägte Personenschutz-Erfahrungen. Ein Raum-, Strecken- und Objektaufklärungskonzept war seit vielen Jahren am Wohnsitz des Familienoberhauptes und seiner Ehefrau in Deutschland eingerichtet. Angesichts überdurchschnittlicher Medienbekanntheit und als zunehmend wahrgenommener wirtschaftlicher und sozialer Verwerfungen, besteht aus Sicht der Klienten weiterhin erhöhter Sicherheitsbedarf. Proteus.one wird gebeten, ein tragfähiges Family Security Konzept zu entwickeln und gemeinsam mit einem Länderpartner auszurollen.

Herausforderungen:

In Anbetracht besonderer rechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen im Zielland, ist es für den Einsatz eigener Sicherheitsmitarbeiter und Einsatzmittel erforderlich, zahlreiche Genehmigungen einzuholen. Eine Ramp-up-Phase von 8 Wochen muss kalkuliert werden. Angesichts hoher Flexibilitätsanforderungen wird eine Auftragskooperation mit einem ausländischen Netzwerkpartner angelegt. Trotz langjähriger und stabiler Auftragsbeziehung wird in der Service-Customization gesteigerter Wert auf besondere Kundenerwartungen und Präferenzen gelegt.

Methodik und Ergebnisse:

Mit Nebenfokus auf die Symbol- und Öffentlichkeitswirkung der Unternehmensmarke sowie länderspezifische Risiken wird eine familienbezogene Gefährdungsanalyse durchgeführt. Einen theoretischen Bezugsrahmen bilden anerkannte Standards im Risikomanagement. Im Verlauf der Untersuchung erfolgt auch eine Bestandsaufnahme und Schwachstellenanalyse baulich-technischer Sicherheitseinrichtungen in relevanten Wohnobjekten. Im Ergebnis wird ein erhöhtes Threat-Level ermittelt. Als besonders beachtenswert erscheinen Risken, die sich aus der sogenannten unpersonifizierten Kriminalität in den Deliktsfeldern Einbruch und Raub ergeben, weil die regionalen Häufigkeitszahlen hoch signifikant sind und kriminologische Studien dokumentieren, dass es bei Wohnungseinbrüchen relativ häufig zu Täter-Opfer-Konfrontationen mit kritischer Verlaufsdynamik kommt. Bei guter medialer „Sichtbarkeit“ von Struktur und Vermögen der Inhaberfamilie ist außerdem von einer überdurchschnittlichen abstrakten Gefährdung einzelner Personen – vor allem der Enkelkinder – im Kontext Entführung & Erpressung auszugehen.

Unter Best-Practice-Perspektive wird ein Basiskonzept Personenschutz abgeleitet, implementiert und personell besetzt.

Tragende Säulen bilden:

  • Eine anlassbezogene, abgesetzte Sicherheitsbegleitung.
  • Ständige Aufklärungsmaßnahmen im Wohn-, Freizeit- und Arbeits- bzw. Kindergartenumfeld einzelner Familienmitglieder.
  • Mobile Notfallmelder (Smartphone App mit Flic Button).
  • Eine 24/7-Alarm- und Interventionsbereitschaft mit Vorhaltung notfallmedizinischer Ausrüstung.
  • Mechanische und elektronische Schutzvorkehrungen.
  • Sensibilisierungsgespräche und Risk-Awareness-Trainings.
  • Ein Basiskrisenplan für Ausnahmesituationen.

Unterstützung einer Corporate Security Organisation nach veränderter Risikolage

Ausgangslage:

Als sich die wirtschaftliche und finanzielle Lage für ein börsennotiertes Unternehmen und seine Repräsentanten nennenswert verändert, wird das Risikomanagement auch im Kontext Executive Protection vor neue Herausforderungen gestellt. Nach einer B2B-Empfehlung wird Proteus.one gebeten, ein Vorstandssicherheitskonzept zu entwickeln und als externer Dienstleister in die bestehende Corporate Security-Organisation einzubinden.

Der Leistungsbezug soll später durch eine noch zu etablierende Retained Organisation gesteuert werden. Eine überdurchschnittliche Gefährdung einzelner TOP-Führungskräfte war gemäß einschlägiger Polizeidienstvorschriften bereits attestiert worden. Gewerbliche Waffentragegenehmigungen wurden bei den zuständigen Waffenbehörden beantragt.

Herausforderungen:

Schon oberflächlich betrachtet muss die Risikolandschaft für das Unternehmen ad-hoc als komplex und dynamisch eingeschätzt werden. Marke und Vorstände waren in ihrer medialen Sichtbarkeit „über Nacht nach oben gespült“ worden. Teilweise gehen politisch motivierte Drohungen ein. Unternehmenssicherheit ist auf einem niedrigen Niveau organisiert. Strukturen und Kenntnisse im Bereich Vorstandssicherheit sind nur rudimentär vorhanden. Eine genaue Risikoanalyse sowie die Ableitung und Implementierung einer Personenschutzkonzeption müssen unter Zeitdruck vorgenommen werden. Dabei sind parallele Zuständigkeiten von Polizei und privaten Sicherheitsträgern und hohe resultierende Schnittstellenanforderungen zu berücksichtigen.

Methodik und Ergebnisse:

Initial werden personenbezogene Gefährdungsanalysen durchgeführt, die neben einer Untersuchung der „digitalen Fußabdrücke“ u.a. auch Interviews einzelner Vorstandsmitglieder zu deren Tagesabläufen und Gewohnheiten wie auch eine Bestandsaufnahme und Bewertung baulich-technischer Sicherheitseinrichtungen in Wohnhäusern und am Arbeitsplatz beinhalten. Ein Abgleich von Bedrohungsprofil und bereits implementierten Schutzmaßnahmen gibt Hinweise auf relevante Risiken und entsprechende Optimierungsbedarfe.
Unter Best-Practice-Perspektive wird ein SOLL-Konzept abgeleitet, vor den Sicherheitsverantwortlichen der Gesellschaft präsentiert und in der Folge von den betroffenen Vorständen genehmigt.

Die Umsetzungsplanung sieht vor, dass Proteus.one auch in der sicherheitstechnischen Beratung und Projektierung unterstützt, auch was die Einbindung von Gefahrenmeldern und Alarmsystemen der Wohnobjekte in das übergeordnete Personenschutz-Management betrifft.

Alle Positionen im Sicherheitsteam werden extern von Proteus.one besetzt. Ein Teil der Mitarbeiter muss akquiriert werden. Im Recruiting werden eignungsdiagnostische, psychologisch validierte, Verfahren eingesetzt. Wesentliche Auswahlkriterien bilden auch die spezifische Berufserfahrung und notfallmedizinische Qualifikation der Kandidaten.

Zunächst wird mit einem Rumpfteam gestartet, nach 6 Wochen ist der Target Headcount erreicht.

Das Schutzprogramm umfasst neben einem bewaffneten Begleitschutz auch eine sogenannte Aufklärungskomponente im Wohn- und Arbeitsumfeld einzelner Vorstände mit 24/7-Interventionsbereitschaft. Eine Smartphone-Notfall-App erlaubt die ortsungebundene Alarmierung des Sicherheitsteams zu jeder Tages- und Nachtzeit. In Sensibilisierungsgesprächen und Schulungen werden Impulse für ein sicherheitsbewusstes Verhalten vermittelt. Für die Bewältigung von Ausnahmesituationen wird ein personenschutzspezifischer Basiskrisenplan erstellt und in die Krisenmanagementorganisation des Unternehmens eingebettet.

Dem PDCA-Gedanken entsprechend werden die Schutzmaßnahmen an ein Managementsystem für Bedrohungsrisiken angebunden und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. In den Bereichen Risk Monitoring und Protective Intelligence arbeitet Proteus.one mit Inhouse Teams des beauftragenden Unternehmens zusammen.

Israeli Behavioral Detection Officer Certification

„Behavioral Detection“ ist eine eine Methode für die Erkennung von Personen mit kriminellen Absichten durch Beobachtung ihres Verhaltens und ihrer Aktivitäten.

Sie wurde in erster Linie für den Schutz „weicher Ziele“ entwickelt und beruht auf einer Kombination aus Beobachtung, beiläufiger und gezielter Konversation und der Auswertung verbaler oder physiologischer Reaktionen. Behavioral Detection kann damit auch unter Personenschutz-Gesichtspunkten wertvolle Hilfestellungen bieten und Teil eines systematischen Ansatzes sein, Gewalttäter abzuschrecken oder zu enttarnen, nötigenfalls zu isolieren und festzunehmen bzw. festnehmen zu lassen.

Wir haben das Online-Format „Israeli Behavioral Detection Officer Certification“ von Cherries als Ausbildungsmodul für Personenschutzmitarbeiter standardisiert. Fraglos nur ein erster Schritt, aber eine solide Basis für weiterführende Aus- und Fortbildungen zu diesem überaus relevanten Spezialthema. Cherries wurde 2015 von Aaron Cohen, einem anerkannten Experten für Terrorismusbekämpfung und ehemaligem CTU-Operator für Sondereinsätze, gemeinsam mit anderen ehemaligen Mitgliedern verschiedener israelischer Geheimdienste und Spezialeinheiten gegründet.

Forschungsarbeit von Oliver Graf (SRH Hochschule Heidelberg, DFB, DFL)

Vorgehensweise und Zielstellung:

Ausgangsbasis der Studie bildeten die an der Universität Maryland geführte sog. Global Terrorism Database (GTD) sowie umfangreiche Presse- und Internet-Recherchen, um zunächst zehn relevante Risikoaspekte zu definieren und nachfolgend hinsichtlich möglicher Folgen und Ursachen zu untersuchen. Um diese Auswertungen zu „erden“ und evidenzbasiert zu gestalten, wurden ausführliche qualitative Interviews mit Experten (Spieler, Spielerberater, Funktionäre und Sicherheitsbeauftragte von Vereinen und Verbänden) durchgeführt. Die Auswertung erfolgte methodisch u.a. mit Hilfe von Verfahren der semantischen Netzwerkanalyse, um

  • Schwerpunkte und Themencluster herauszuarbeiten,
  • die spezifische Sicherheitslage zu beschreiben und
  • Empfehlungen für ein integriertes Sportsicherheitsmanagement am Beispiel des Fußballs abgeben zu können.

Hintergrund und Anlass:

Wie bei vielen Prominenten, ergibt sich auch für Profifußballspieler ein typischer Zielkonflikt: Denn Sicherheit und Privatsphäre stehen in einer ständigen Abwägung zu Faninteressen und der Popularität der betreffenden Personengruppe, die oft selbst als Werbeträger oder aktive Social Media-Nutzer die Öffentlichkeit suchen. Angaben zum Vermögen von Profifußballern sind unschwer den Medien zu entnehmen. Die Auseinandersetzung um die Angemessenheit oder den sozialen Nutzen exorbitanter Einkommen von Sportstars wird mit profilierten öffentlichen Stellungnahmen geführt. Neben Drohungen gegen Spieler kommen auch immer wieder Aktionen gegen Funktionäre, Spielerberater oder Trainer vor.

Outcomes:

Eigene FMEA-basierte Analysen und Feststellungen, die durch qualitative und quantitative Befragungen empirisch untermauert werden konnten, dokumentieren eindeutige Defizite. Insgesamt fällt auf, dass Sicherheitsexperten einzelne Aspekte der Sportsicherheit oftmals anders bewerten als übrige Stakeholder. Stadionsicherheit, orientiert am „Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit im Fußball“ des DFB und der DFL, wird überwiegend mit der Note „gut“ bewertet. Im Bereich Reisesicherheit (Auswärtsspiele, Turniere) werden deutliche Optimierungspotenziale erkannt, wobei der Handlungsbedarf von Sicherheitsbeauftragten höher eingeschätzt wird als von den eigentlichen Bedarfsträgern. Die kritischsten Bewertungen erhalten die wahrgenommenen Erfüllungsgrade von Sicherheit, wenn es um das private Umfeld von Spielern und Funktionären geht.

Ansätze für eine Verbesserung der Sicherheitsarchitektur im Profifußball:

Die Grundlagen für den Personenschutz im Profifußball scheinen bisher weitgehend nur implizit, unsystematisch und in Form allgemeiner Orientierungen vorzuliegen. Personenschutz sollte aber als relevante, eigenständige Sportsicherheits-Disziplin angesehen und etabliert werden. Mit anerkannten QS-Instrumenten, die für ein prozessorientiertes Sicherheitsmanagement eingesetzt werden, lassen sich erhebliche Mehrwertpotenziale heben. Die Studie enthält Empfehlungen zu 24 systematischen Ansätzen oder Einzelmaßnahmen in strategischer und taktischer Perspektive.

Fachartikel von Oliver Graf und Dr. Pantaleon Fassbender: SECURITY INSIGHT 2/14

Aktives Erwartungs- und Konfliktmanagement ist im Personenschutz für exponierte und gefährdete Familien ein zentraler Erfolgsfaktor. Denn in einer von Respekt, Akzeptanz und Transparenz geprägten Arbeitsatmosphäre gelingt es viel besser, Schutzziele zu erreichen und das Sicherheitsniveau zu erhöhen. Nur, wer sich aus psychologischer Perspektive mit den typischen Konfliktkonstellationen auseinandergesetzt und seine Reaktion darauf professionell trainiert hat, kann den Vorteil tatsächlich nutzen.

Problemskizze:

1. Milieu-Bruch

In der Regel wird man im Personenschutz für Familien tätig, deren Mitglieder einer privilegierten Oberschicht entstammen, und – sozusagen von Hause aus – einen relativ hohen Erwartungshorizont aufgebaut haben.

2. Übertragung und Gegenübertragung

Wir werden regelmäßig damit konfrontiert, dass unbewusste und unerfüllte Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen der Schutzpersonen mit unseren eigenen Erwartungen und Phantasien darüber, was wir tun oder lassen sollten, eine innere Beziehung eingehen. Unter Stress und Bedrohung werden diese unbewussten Mechanismen besonders schnell aktiviert. Und gerade Personenschützer sind mitunter archaischen Sehnsüchten und Erwartungen ausgesetzt, denn Sicherheit und Geborgenheit stellen Urbedürfnisse dar, deren Befriedigung delegiert und mit starken Idealbildern verknüpft wird. Unterbewusst will man im Personenschützer eben auch den archetypischen Krieger und Heilsbringer erkennen!

3. Wechselnde soziale Kontexte

Von den zu schützenden Familienmitgliedern steht jeder für sich in wechselnden sozialen Umgebungen (Schule, Sportverein, Beruf) und wird dort zwangsläufig normativ beeinflusst. Das reflektiert selbstverständlich auch auf Rollenerwartungen an den Personenschützer. In einem Spannungsfeld derartig vielfältiger und komplizierter psychologischer und soziologischer Prozesse steigt die Wahrscheinlichkeit der Frustration für beide Seiten enorm.

Lösungsansätze:

1. Ein neues Curriculum

Der übliche lineare Ansatz, funktional und fachlich einwandfrei Schutzkonzepte in den Raum zu stellen und abzuwarten, was passiert, reicht nicht aus. Denn ein Problem, das keine Anomalie, sondern die notwendige Folge von Beziehungsgestaltung darstellt, wird nie von sich aus verschwinden. Deshalb braucht der Personenschützer, wie jeder Partner, der auf Zeit und intensiv in ein Familiensystem eintritt, spezifische Ressouren, weil er in eine ganze Reihe von emotionalen „Spielen“ hineingezogen werden kann: sei es zur Provokation der Eltern, als Adressat der erlebten Einschränkung der männlichen Schutzrolle oder als emotionales Objekt für Beschützerphantasien!

2. Psychologische „Hausaufgaben“erledigen

Rollenklärung, Selbstreflexion und ein bewusster Umgang mit den eigenen Bedürfnissen im Spannungsfeld von Nähe, Distanz, Stabilität und Wechsel. „In wiederkehrenden Workshops versuchen wir, bei unseren Mitarbeitern ein Sensorium für unausgesprochene Erwartungen, atmosphärische Störungen und andere Symptome versteckter Konflikte zu entwickeln. Man muss also bis zu einem gewissen Grad wieder ‚lernen zu fühlen‘. Mit dem Denken allein sind wir, wie ein Computer, festgelegt auf die Parameter 0 und 1. Damit kann man viel bewerkstelligen, aber eben nicht alles! Wir haben im Rahmen der Konfliktprävention und -moderation gute Erfahrungen mit ehrlichen und vertrauensvollen Dialogen zwischen Sicherheitsbegleiter und Schutzperson gemacht, in denen man sich als Mensch und nicht nur als Funktionsträger begegnet. Es ist legitim und wichtig, die rein sachliche Ebene bewusst zu verlassen, um informelle und emotionale Inhalte zu platzieren. Sowohl initiale Sensibilisierungsgespräche aber auch institutionalisierte Jours Fixes bieten gute Gelegenheiten, um zum gemeinsamen Erwartungsabgleich einzuladen und konfrontative Positionen abzubauen, denn diplomatische Schnörkeleien helfen in der Regel nicht weiter.

Fazit:

Je tiefer unser Verständnis für die relevanten psychologischen Zusammenhänge entwickelt ist, umso eher wird es uns gelingen, Schutzpersonen zu vermitteln, wo persönliche Grenzen liegen. Wer sich die entsprechenden Denk- und Handlungsräume eröffnet, versetzt sich damit in die Lage, auch schwierige Schutzaufträge zielführend zu steuern. Vor diesem Hintergrund muss die psychologische Aus- und Fortbildung von Personenschützern breiter aufgestellt werden. Es ist völlig unverständlich, warum Coaching und Supervision als anerkannte Methoden der Personal- und Persönlichkeitsentwicklung im Leistungssport längst etabliert sind, im professionellen Personenschutz aber kaum oder nur restriktiv eingesetzt werden.

Quellenhinweis: Security Insight, Ausgabe 02/2014, S. 54 ff., https://prosecurity.de/security-insight